Mein liebster Hannibal,

ich erinnere mich daran, dass du eigentlich gar nicht die auserwählte Katze gewesen bist, als wir seinerzeit überlegten, ob noch ein Kätzchen bei uns einziehen sollte. Deine Mama war eine wunderschöne Glückskatze, eine reinrassige Perserdame, die sich wohl auf ein Abenteuer mit einem Streuner eingelassen hatte und aus diesem sicherlich einmaligen Intermezzo gingen drei süße Katzenbabys hervor. Ich wollte ein Mädchen, du warst der einzige Bub, doch als ich dich sah, war es Liebe auf den ersten Blick. Das Frauchen deiner Mami wollte dich zuerst gar nicht hergeben, doch schließlich konnte ich sie überreden, dass du bei uns einziehen musst. Ja, und so war es dann. Dass du Hannibal heißt, das war auch ganz schnell klar.

Was warst du für ein süßer Racker! Unkompliziert, schnell integriert, meist freundlich, außer wenn dich jemand wirklich geärgert hat, dann hast du auch mal deine Krallen ausgefahren und so mancher Kratzer zeugte davon, aber im Grunde genommen warst du ein liebenswerter ab und zu eigenwilliger roter Kater.

Wie oft haben wir dich stundenlang in der Wohnung gesucht, befürchtet, dass du zur Tür hinaus entwischt sein könntest, nur um dich dann endlich in einem Kasten zu finden, wo du blitzschnell hineingehuscht warst und dich bestimmt in der hintersten Ecke zu einem Nickerchen zusammengerollt hattest und wir dich übersehen hatten, obwohl wir wahrscheinlich mindestens 10 Mal in jedem Kasten nachgesehen hatten.

Du hast es geliebt, uns zu ärgern. Wollten wir beispielsweise im Wohnwagen Karten spielen, dann hast du dich mitten auf die Karten gelegt und das in deiner ganzen Länge. Wollte ich mich auf meine Gartenliege im Urlaub legen, also so schnell konnte ich nie und nimmer sein, du warst immer schneller und hast dich durch nichts und niemand vertreiben lassen. Du warst unser Mäusefänger im Campingurlaub, die Mäuse ahnten nicht, dass da Katzen waren und sind ganz frech bis ins Vorzelt gekommen. Mit dir hatten sie eindeutig nicht gerechnet und du hast im ersten Urlaubsjahr eine ganze Menge an Mäusen gefangen. Einmal haben wir deine Leine nicht festgemacht und du bist auf Entdeckungsreise auf dem Campingplatz gegangen. Irgendwann war es dir dann doch unheimlich und du hast dich unter einem Wohnwagen verkrochen, wo wir dich unter viel gutem Zureden wieder hervorlocken mussten.

Der Garten war dein Reich. Wenn du hinaus wolltest, dann hast du dich auf den Garderobenkasten gesetzt und lautstark gefordert: Her mit der Leine, ich will hinaus! Und kaum hattest du dein Geschirr um, bist du bei der offenen Tür hinausgestürmt und schnurstracks über die Stufen hinunter auf die Wiese gesaust. Dann hast du dich in der Sonne geräkelt oder dich auf das warme Mäuerchen gelegt oder auch mal mitten hinein in meinen Gemüsegarten. Manchmal durftest du auch auf die Trauerbirke klettern, mir wurde ganz schwindlig beim Zusehen, doch du hast es genossen. Von ganz oben herunter zu sehen und stolz deine Kräfte zu zeigen. Überhaupt warst du in deiner Jugend ein richtig übermütiger Kater. Du bist auf offenen Türen oben balanciert oder irgendwo oben auf Kästen, Hauptsache hoch oben mit großem Überblick.

Es ließen sich endlose Episoden, Geschichten erzählen.

Eines Tages im Februar 2008 konntest du plötzlich fast von einer Minute auf die andere nicht mehr auf die Kommode springen. Der Tierarzt konnte nicht feststellen, was dir fehlte, du bekamst eine Spritze, es sah fast aus, als hättest du dir irgendwie deine Hintebeine verrissen. Doch es wurde nicht besser, es wurde am nächsten Tag schlimmer. Du zeigtest Lähmungsrescheinungen, noch waren aber Ultraschall und Blut und Röntgen in Ordnung. Nur - es wurde stündlich schlimmer und zwei Tage später sah man eine deutliche Veränderung auf dem Röntgen. Deine Leber - irgendetwas war nicht in Ordnung. Wir mussten dich sofort in der Klinik lassen. Was dir fehlte, war nur durch eine Operation feststellbar, es stand zu dem Moment nicht fest, ob wir dich lebend wiedersehen würden oder nicht. Denn eines war klar, leiden solltest du nicht. Du durftest wieder aufwachen aus der Narkose, man hatte dir ein Lymphkarzinom in der Leber entfernt. Wochenlang bangten wir um dich, denn du wolltest nicht fressen, dein Zustand stabilisierte sich nicht so recht. Immer wieder zeigtest du Gleichgewichtsstörungen und mehr als einmal waren dein Herrchen und ich drauf und dran, dich von all dem zu erlösen. Der Tierarzt hatte und gesagt, dass er sicher sei, der Krebs werde eines Tages wieder kommen, du könntest Monate haben oder Jahre, das könne er nicht sagen. Von da an musstest du Medikamente nehmen, was schwierig war, denn du und Tabletten - nein danke!

Bis in den Sommer hinein bangten wir um dich. Zu fressen hast du wieder begonne, als ich den Typ von Nadja von den Cookies bekam, es mit Babynahrung zu versuchen, mit Fleisch. Und es klappte, aber es war schleppend.

Und dann kam der 15. August, der Tag, an dem wir Mephisto verloren. Ihr wart alle wie gelähmt und die Sinnlosigkeit von Mephistos Tod, die konnten wir nicht begreifen. Doch eines war unübersehbar - du begannst dich sichtlich zu erholen. Haltet mich alle für verrückt - doch Mephisto hat sein junges Leben dir gegeben! Du wurdest von Tag zu Tag kräftiger, hast zugenommen, es ging dir sehr sehr gut! Und wir waren dankbar für jeden einzelnen Tag. Wir wussten, deine Zeit war begrenzt, jeder Tag war ein Geschenk.

Ende Juli dieses Jahres musste ich dir das Fell scheren lassen. Du wolltest dich nicht so richtig kämmen lassen, doch all die Jahre klappte es doch ganz gut. Nur in den letzten beiden Jahren dann wurdest du richtig wütend und ich habe nicht nur einmal tiefe Kartzer abbekommen. Manchmal gelang es mir, die ärgsten Knoten weg zu rasieren, doch dann wolltest du auch das nicht mehr. Bevor du unter diesen Knoten wund werden konntest, entschlossen der Tierarzt und ich und zu einer Komplettrasur. Du hast die Narkose ganz toll überstanden, dein Herz schlug kräftig, dein Allgemeinzustand war für dein Alter und deine Grunderkrankung sehr gut. Hinterher hast du wie ein Brathähnchen ausgesehen, aber du hast unsere Nähe gesucht und du warst quicklebendig. Du bekamst ja seit längerem Extraprivilegien: Immer wieder mal durftest du ins Schlafzimmer, wo du auf meinem Bett in aller Ruhe und ungestört ein Nickerchen halten konntest. Du bekamst nach der Einnahme deiner Medikamente immer Extrapotionen Leckerlis. An die Medikamentengabe hattest du dich letztendlich beinahe gewöhnt, du mochtest es bis zum Schluss nicht, aber du hast es über dich ergehen lassen. Du bekamst extra Poritonen Nassfutter, abgesondert von den anderen, so dass du in aller Ruhe fressen konntes, ohne dein Futter verteidigen zu müssen. Im Laufe des letzten Jahres bist du auf deinem linken Auge erblindet, aber das hat dich nicht behindert. Es gehörte mit zu deiner Krankheit, wir hofften, dass das 2. Auge noch lange mitmacht.

Ja und dann auf einmal bemerkten wir, dass du nach dem Fressen, nach dem Putzen, rund um dein Mäulchen irgendwie schmutzig warst. Es gab dafür zuerst keinen ersichtlichen Grund, ich wusch dich immer wieder, man sah zwar, dass die Zunge ein wenig ausgefranst aussah, aber nicht sichtlich verletzt oder blutend. Es war nur dann irgendwann klar, dass du beim Putzen mit deinem Speichel auch Blut auf dir verteilst. Es wurde schlimmer, noch immer war nur ein heller Fleck auf deiner Zunge zu sehen. Und du hast unverändert gefressen. Nassfutter, Trockenfutter. Nur das Bluten wurde schlimmer, es fand sich aber nicht so richtig die Ursache. Als wir sie fanden, ging es rasend schnell. Deine Zunge löste sich buchstäblich auf, der Krebs war furchtbar aggressiv.

Bis zuletzt hat man dir deine schwere Krankheit nicht angemerkt. Im Gegenteil, du hast nicht mehr geschlafen als sonst, du bist hoch hinauf auf den Kratzbaum geklettert, du hattest guten Appetit, keine offensichtlichen Schmerzen, warst wie immer. Bist zum letzten Sonntag, da wurde das Schlucken schwierig, du hast schrecklich gesabbert, immer wieder säuberten wir dich. Und als du deine Tablette schlucken solltest, da sahen wir das ganze Ausmaß der Zerstörung, du konntest die Tablette nicht mehr schlucken. Und ich wusste, es war Zeit, dich gehen zu lassen und dir qualvolles Leiden zu ersparen.

Diesen letzten Weg bin ich alleine mit dir gegangen. Du warst so ein tapferer Kerl, hast dich noch einmal ganz fest an mich gekuschelt, dich zusammengerollt an mich geschmiegt, in meine Arme. Und dann durftest du einschlafen und ich hoffe so sehr, dass du mich bis zuletzt gespürt hast, dass du wusstest, dass ich bei dir bin.

In meinem Herzen bist du noch immer da. In meinen Gedanken bleiben deine Liebenswürdigkeit genauso wie deine Kratzbürstigkeit lebendig. Das alles warst einfach du. Die letzten beiden Jahre waren ein Abschied auf Zeit, das macht es ein kleines bisschen leichter, aber nicht ganz. Denn du fehlst mir so sehr. Ich suche Trost darin, dass du mir vorausgegangen bist, dass dein Leben vollendet war und du nun auf uns alle aufpasst, bis wir uns wiedersehen. Und das werden wir, eines Tages. Somewhere over the rainbow...

Danke für jeden Augenblick deines Daseins. Leb wohl und danke, dass du dich uns ausgesucht, um dein Leben mit uns zu verbringen!

Dein Frauchen Astrid